Adria-Tour: Novak Djokovic ist statt der Star der Master des Desasters Eigentlich sollte die Turnierserie zum Triumphzug durch seine alte Heimat werden. Stattdessen ist Novak Djokovics Adria-Tour nun unversehens ein Corona-Hotspot. Der Weltranglistenerste im Tennis wurde selber positiv aufs Virus getestet – und sein Imageschaden ist immens. Daniel Germann 23.06.2020, 17.02 Uhr Drucken Teilen Ein Schauturnier wird zum Desaster: Novak Djokovic hat sich als vierter Teilnehmer der Adria-Tour mit Corona angesteckt. Ein Schauturnier wird zum Desaster: Novak Djokovic hat sich als vierter Teilnehmer der Adria-Tour mit Corona angesteckt. Antonio Bronic / Reuters Irgendwann, wenn der Pulverdampf zerstoben ist und das Covid-19-Virus und all das Leid, mit dem es die Welt übergezogen hat, nur noch eine böse Erinnerung sind, dann wird Bilanz gezogen. Doch zumindest einer der Verlierer dieser aussergewöhnlichen Krise steht schon jetzt fest: Es ist Novak Djokovic, 17-facher Grand-Slam-Sieger, Nummer 1 im Männer-Tennis und daneben Ehemann und zweifacher Vater, dem nichts mehr am Herzen liegen sollte als das Wohl seiner Familie. Denkt man. Doch Djokovic reichen all die Erfolge, die er in seiner Karriere bereits gefeiert hat, all das Glück, das ihm Frau und Kinder immer wieder bescheren, offensichtlich nicht. Er will mehr. Er will geliebt werden. Deshalb hat er sich in die Idee dieser Adria-Tour verrannt: Belgrad, Zadar, Montenegro, Banja Luka, Sarajevo. Es hätten die Stationen eines Triumphzuges werden sollen. Nun sind sie Synonyme für ein Desaster. Eine vernichtende Bilanz Am Dienstagnachmittag, als Dj0kovic längst schon das Feindbild Tausender, wenn nicht von Millionen war, meldete er sich in einer Erklärung zu Wort. «Alles, was wir im letzten Monat getan haben, taten wir mit reinem Herzen und in bester Absicht. Unsere Turniere sollten Menschen zusammenbringen und ein Signal der Solidarität und des Mitgefühls für die ganze Region sein. Es sollte Spielern aus dem Südosten Europas eine Wettkampfgelegenheit gegeben werden. Und hinter all dem stand der philanthropische Gedanke, Geld für Menschen in Not zu sammeln.» Doch die Bilanz all dieses guten Willens könnte kaum vernichtender sein – Grigor Dimitrow: positiv auf Corona getestet. Borna Coric: positiv auf Corona getestet. Viktor Troicki: positiv auf Corona getestet. Djokovics Fitnesstrainer: positiv auf Corona getestet. Und Djokovic schrieb in seinem Statement: «Auch ich bin positiv, genau wie meine Frau Jelena, während die Resultate unserer Kinder negativ sind.» Noch am Montag bei der Abreise aus dem zweiten Spielort im kroatischen Zadar hatte sich Djokovic einem Test mit dem Hinweis widersetzt, er fühle sich gesund und habe keinerlei Symptome. In Belgrad liess er sich danach trotzdem testen – offensichtlich nach einiger Überzeugungsarbeit aus seinem Umfeld. Nick Kyrgios, australischer Tennisflegel mit philanthropischer Ader, fasste das Desaster auf Twitter in zwei Wörtern zusammen: «Oh boy.» Andere Nutzer der sozialen Netzwerke waren in ihren Kommentaren weniger lakonisch. Einer schrieb: «Es war schon immer klar, dass Djokovic nicht die hellste Kerze auf der Torte ist. Doch das schlägt alles.» Ein zweiter kommentierte: «Eine weitere heilsame Erinnerung, dass Starrsinn und Draufgängertum nicht immun gegen Covic-19 machen.» Ein dritter kalauerte: «Smile and cheer, COVID’s here.» Nun ist Zahltag. All die geistreichen und weniger geistreichen Auftritte in den vergangenen tennisfreien Wochen fliegen dem 33-jährigen Serben nun um die Ohren. Er und vor allem sein Umfeld hatten keine Gelegenheit verpasst, sich mit ungeschickten Äusserungen in die Nesseln zu setzen. Ausgerechnet Roger Federer war das bevorzugte Ziel der Djokovic’schen Diktion. Mutter Dijana fand den Schweizer Star öffentlich «ein bisschen arrogant», Vater Srdjan riet ihm über serbische Medien, doch zurückzutreten, Skifahren zu gehen und seine Kinder grosszuziehen. Doch wer Federer kritisiert, der erntet Sturm – und zwar nicht nur aus der Schweiz, sondern weltweit. Kein anderer Tennisspieler und kaum ein anderer internationaler Sportler ist populärer als der Baselbieter. Das ist Teil von Djokovics Dilemma, das ihn immer wieder ins Abseits rennen lässt. Er hat im Januar das Australian Open gewonnen und ist 2020 noch ungeschlagen. Längst hat er Federer den Rang als bester Tennisspieler des Moments abgelaufen. Seit dem Wimbledon-Halbfinal 2012 hat Djokovic keinen wichtigen Match gegen Federer mehr verloren. Er bedrängt dessen 20 Grand-Slam-Titel und auch den Rekord von 310 Wochen an der Weltranglistenspitze. Doch das reicht Djokovic nicht: Er will nicht nur bewundert, sondern auch geliebt werden. Kritik von Andy Murray Seit der ersten Station in Belgrad, wo sich die von Djokovic eingeladenen Spieler in Partylaune zeigten und nichts aufs Distanzhalten gaben, stand die Adria-Tour unter einem schlechten Stern. Auch die Zuschauer hielten sich nicht an Hygiene- und Abstandsregeln. Nun ist dieser Event, der dank seinem gemeinnützigen Hintergrund zur Propaganda-Show von Djokovic hätte werden sollen, definitiv zum PR-Flop verkommen. Andy Murray, ein alter Freund und alles andere als Provokateur in eigener Sache, sagte der «London Times» noch vor dem positiven Corona-Test von Djokovic: «Das macht keinen guten Eindruck. Wenn man durch schwere Zeiten wie diese geht, ist es umso wichtiger, dass die Topathleten der Welt zeigen, dass sie das alles extrem ernst nehmen.» Novak Djokovic ist die Nummer 1 im Ranking. Er ist aber nicht nur der momentan beste Spieler, sondern auch der Präsident des Spielerrats. Vor einem Jahr zog er die Kritik auf sich, weil er gegen den Willen vieler Spieler die Absetzung des ATP-Chairman Chris Kermode durchgeboxt hatte. Er verbündete sich dafür mit dem streitbaren Amerikaner Justin Gimelstob, der in seiner Heimat wegen häuslicher Gewalt verurteilt worden ist. Und nun also sorgt er mit seiner Adria-Tour ausgerechnet in jenem Moment für einen herben Rückschlag, in dem Corona zumindest in Europa einigermassen unter Kontrolle zu sein scheint und die ATP die Wiederaufnahme der Tour ab Mitte August plant. Wer spricht noch davon, dass unter anderem auch der Weltranglistendritte Dominic Thiem oder der Weltranglistensiebente Alexander Zverev mit Djokovic durch den Balkan tourten? Thiem ist mittlerweile bereits in Frankreich, Zverev wird in zwei Wochen in Berlin zu einem Schauturnier erwartet. Beide liessen sich testen und sind – nach dem neusten Wissensstand – Covid-19-frei. Doch das Aushängeschild der Adria-Tour war Djokovic. Er sollte der umjubelte Mittelpunkt des Anlasses werden. Stattdessen ist er nur der Master des Desasters. Und er wird mit dem Vorwurf leben müssen, sich selber, seine Familie und Tausende von Anhängern, die gekommen waren, um ihm die Anerkennung zuteil werden zu lassen, die ihm in Melbourne, Paris, London oder New York so fehlt, in tödliche Gefahr gebracht zu haben. Am Ende seiner Mitteilung schreibt Djokovic: «Mir tut jede einzelne der Ansteckungen unendlich leid.» An einer Last so gross wie dieser sind schon Karrieren zerschellt.